Mein Lehrmeister

Wims Geschichte – vom Problempferd zum Partner oder die wundersame Entwicklung eines großen Braunen

 

Die erste Begegnung von Birger Gieseke und Wim verlief undramatisch: der große Braune war als Problempferd (also nicht reitbar, auch satteln unmöglich, reißt sich los, bockt) für den Savvy Day 2001 in Paderborn angeboten worden. Doch als Birger das erste Mal vor ihm stand, war Wim in seiner Box, zeigte sich freundlich, kuschelte und ließ sich von Birger am ganzen Körper anfassen. Also gab es das Okay für den großen Auftritt.

 

 

Und das wurde ein großer Auftritt: Wim an sich ist schon 175 cm groß und kaum in der Reithalle bäumte er sich auf, reagierte panisch auf seine Umgebung! Kein Wunder! Bei seiner Geschichte... schließlich hatten sich seit nunmehr 4 Jahren diverse Profis bemüht, ihn wegen seiner exzellenten Abstammung und seines großen Bewegungstalentes trotz Gegenwehr unter den Sattel zu bekommen und sie hatten das immer in der Halle versucht.

 

Nun reichte schon die Halle, um in Wim die vielen stressigen, ihn ängstigenden und unangenehmen Zwang-Situationen wieder aufblitzen zu lassen. Er ließ sich dementsprechend kaum das Knotenhalter anlegen, rollte schon dabei mit den Augen, riss den Kopf hoch und stürmte rückwärts und immer rückwärts. Pat Parelli brauchte 10 Sekunden um zu wissen, dass dies ein echter Problemfall würde!! Und er ahnte auch, was dann Wirklichkeit wurde: Nicht alles, was für eine Veränderung in diesem Pferd nötig würde, war positiv wirksam.

 

Wer die Einreitdemos im Horsemanship kennt – z.B. von Birger auf seinem Open House - weiß, dass er üblicherweise nach ca. 20 Minuten auf dem Pferd ist, egal ob liegend, kniend oder stehend und schlicht jede Sekunde in dieser Vorbereitungszeit ziemlich entspannt und irgendwie hübsch aussieht.

 

Nicht so bei Wim. Der große Braune wollte weg, weg, nur weg. Mutter Natur hatte ihn mit einem ausgewiesenen Fluchtinstinkt ausgestattet und dieser war übermächtig. Was auch immer die Menschen, die ihn in der Vergangenheit versucht hatten zu satteln und zu reiten, mit ihm gemacht hatten um ihn gefügig zu machen, hatten ihn darin bestärkt, dass Flucht die beste Reaktion auf Annäherungsversuche eines Menschen ist. Er setzte alles dran, um zu entkommen.

 

Aber eines musste er zuerst lernen. Lange bevor an satteln und reiten zu denken war: In unserer menschlichen Welt löst Wegrennen keine Probleme. Für Wim war es wichtig, diese Erfahrung zu machen, egal ob 20 Minuten genügen würden oder nicht. Und heute, auf dem Savy Day vor fachkundigem Publikum war also der Tag für ihn diese Erfahrung zu machen. Diese Entwicklung war wichtig, damit er sein Trauma loswerden konnte, und dies war allein mit Kraulen an der Stirn nicht zu bewirken. Pat arbeitete mit ihm. Er agierte geschickt. Der Horsemanship Experte legte Wim an ein langes Seil, weil der Braune einfach größere Sprünge machte als andere Pferde. Das gab ihm gleichzeitig mehr Zeit, alte Erfahrungen zu überwinden. Pat wandte für Wim all seine Beharrlichkeit, Ausdauer, Können, sein Wissen und seinen Schweiß auf. 

 

Natürlich klappte es. Wim blieb an diesem Tag skeptisch, aber innerhalb von 3 Stunden (zwischendurch Pausen für andere Demos, in denen Mensch und Pferd verschnaufen konnten) war Wim mit einem Bare Back Pad gesattelt, ließ sich durch die Halle führen, ließ den Menschen drauf sitzen und im Schritt reiten. Ein sensationeller Erfolg für ein Pferd, das solche Panik vor dem Satteln hatte, dass vier Jahre lang ein Profi nach dem anderen am ihm verzweifelte!

 

Wim genoss diese Situation noch nicht, aber er versuchte immerhin nicht den Reiter sofort abzusetzen. Ein riesiger Schritt! Doch nur ahnungslose Seelen konnten davon ausgehen, dass das Pferd „kuriert“ sei und von nun einfach reitbar wäre. Für kundige Zuschauer war offensichtlich, dass Wim nur in kompetenter Horsemanship-Hand zu einem glücklichen Reitpferd werden könnte. Zunächst ging Wim trotzdem an einen Springpferdeausbilder, der Wim von Fohlenzeit an kannte. Er hatte gute Absichten, aber keine Chance. Und so landete Wim schließlich drei Monate später doch noch einmal bei Birger. 

 

Jetzt begann Birger mit einem Neustart. Er spielte mit Wim in seiner Box und mitten zwischen den Kumpels im Auslauf, gewöhnte ihn an ruckartige Bewegungen, “Liberty“ wurde schon bald ein wahrer Augenschmaus. Durch den Umzug zu Birger nach Tewel veränderte sich auch sein komplettes Umfeld und Wim stand nun in einer kleinen Herde auf großen Wiesen – endlich ein artgerechtes Pferdeleben für Wim. Durch den Einsatz verschiedener Schüler, gewöhnte er sich an den natürlichen Umgang und fasste Schritt für Schritt immer mehr Vertrauen.

 

Ausschnitt aus dem Bericht von Gabriele Wörrlein, "keep-it-natural"

 

Gaby Wörrlein hat Wim in dieser Zeit kennengelernt. Nicht nur Birger hat sich von Anfang an um ihn gekümmert, sondern auch ich. Wim war sozusagen unser gemeinsames Projekt. Über die erste Begegnung mit uns beiden berichtet im Folgenden Gaby Wörrlein:

 

„…Ich wählte mir einen Paddock aus und registrierte eine zierliche Frau, die auf einem großen Braunen seitwärts auf mich zu geritten kam. Als ich ihr ausweichen wollte, sprach sie mich an: „Bleib ruhig stehen, ich wollte zu Dir. Hey, ich bin Anja. Komm doch gerade mal mit mir mit, dann kann ich Dir den Hauseingang von weitem zeigen. Dort kannst Du Dir ein Zimmer aussuchen. Heute Abend wollen wir ab 20.00 Uhr grillen. Birger kommt später auch, er ist momentan noch unterwegs.“ Alles wunderbar unkompliziert und das Essen bereits organisiert freute ich mich und wollte noch wissen: „Ist das Dein Pferd?“ „Nein, mein Pferd ist leider nicht fit. Das hier ist Wim.“ Ehrfürchtig schaute ich Anja hinterher, als sie davon galoppierte. Wim hatte ich noch sehr gut von den Savvy Day´s 2001 in Paderborn und München in Erinnerung. Pat Parelli erklärte ihn zum schwierigsten Pferd, das er je in Europa in der Hand hatte. Und zum Viertschwierigsten weltweit. Alle, die in Paderborn dabei waren, können das sicherlich nachvollziehen. Doch hier in Tewel wirkte Wim einfach nur wie ein liebes und freundliches Warmblutpferd. Das hat mir sehr imponiert. Hier wurde Wim von Anja Schwien geritten, um mit ihm ihren Level 3 abzulegen. Wer die Geschichte von Wim nicht kennt, mal kurz zur Info: Der Wallach wurde als Demopferd für Pat Parelli ausgesucht, weil er als unführbar und äußerst schwierig galt. Anders als geplant, dauerte es fast drei Stunden, bis selbst Parelli einen zufriedenstellenden Erfolg verzeichnen konnte. Nach jetzt zwei Jahren in den Händen von Birger Gieseke und Anja, war Wim ein solides Reitpferd geworden. Ich erkannte ihn kaum wieder. Charakterlich, so meinte Birger Gieseke, sei Wim eins der nettesten Pferde, die er kenne. In Anjas Händen wird er bestimmt noch ein Traumpferd werden…

 

Der erste Ausritt

 

 

Wim auf seinem ersten Ausritt. Meine Güte war ich aufgeregt! Doch wie sich herausstellte, alles kein Problem. Durch die regelmäßige Vorbereitung auf der Außenanlage gab es für Wim keinen Unterschied mehr zwischen Platz und Gelände. Er vertraute meiner Führung! Berg rauf und runter, am Wasser entlang, durch die Kiesgrube- Wim hat mir einfach vertraut, gewusst, dass er sich alles zutrauen könnte und ihm nichts passieren würde. Unglaublich! Das heißt aber noch lange nicht, dass es mit allem nun so gut ging. Es gab viele Tage, an denen ich verzweifelte. Was gestern funktionierte, musste am nächsten Tag noch lange nicht so sein. Den einen Tag war das Satteln ganz okay, den nächsten schon wieder problematisch. Zappel hin, zappel her. Habt ihr schon einmal bei einem 1,75 cm großen Pferd Annäherung und Rückzug mit einem Westernsattel gespielt?! Ich wünsche es euch nicht! Am besten noch dazu im Wind, wobei sich zu allem Überfluss auch noch das Sattelpad sich das ein oder andere Mal verselbstständigt hat... Ich schwöre euch, so durchtrainiert war ich noch nie in meinem Leben!

Und habt ihr schon mal gesehen, wie ein Sattelpad unter einem Sattel wegfliegt, weil das Pferd so sehr bockt? Glaubt es mir, das gibt es. Ich habe es miterleben dürfen, natürlich bei Wim. Birger empfahl mir eine zusätzliche Decke, damit diese gegeneinander reiben und somit nicht so schnell unter dem Sattel „wegfliegen“...

 

 

Verladen war dem leider gleichzusetzen. Wim ging zwar in den Hänger, aber trotz zusätzlicher Belohnung im heißen Sommer mit Wasser und Futter im Hänger, war er nicht zu begeistern. War im definitiv egal. Einmal habe ich ihn einen Tag nicht verladen, aber dafür meine wunderbare Quarterstute Tashuna dazugestellt. Na, holla die Waldfee, auch das war ihm ziemlich schnuppe und in null komma nichts war Birgers Hänger in seine Einzelteile zerlegt. Zum Glück kam er nicht raus, sodass Wim dieses Verhalten nicht auch noch als Erfolgserlebnis verbuchen konnte! Wir haben ihn dann mit 5 Personen befreit. Echt ein Erlebnis, auf das man gut verzichten kann! Auch das Thema Trense, oje. Kaum war das blöde Ding irgendwie angelegt, war er nicht begeistert. Er warf den Kopf von unten nach oben und zog an den Zügeln, nicht sehenswert. Das war eine echte Herausforderung für mich, irgendwann stieg ich verzweifelt ab. Birger demonstrierte mir, was ich tun müsse. Auch dies eine äußerst langwierige Geschichte. Dazu kam, dass Birger ein guter, aber auch äußerst strenger und fordernder Lehrer sein konnte. Einen Morgen war ich so froh, rechtzeitig mit den anderen Level 3ern fertig zu sein, als ich Folgendes von hinten zu hören bekam „Trens dein Pferd vernünftig auf!“ Ihr versteht? Nein? Also, vernünftig auftrensen bedeutet, dein Partner Pferd nimmt den Kopf runter und du kannst dann bequem das Gebiss ins Maul legen und das Kopfstück über den Kopf ziehen. Na super,ich konnte bei Wim doch froh sein, ihn irgendwie getrenst zu bekommen!!! Aber aufgeben kam für mich nicht in Frage! Also stand ich am nächsten Morgen so früh auf, dass ich ab 5 Uhr fleißig üben konnte. Um 10 Uhr konnte ich „vernünftig“ auftrensen. Da hatte mich der Ehrgeiz gepackt. Und soll ich euch etwas verraten, das funktioniert heute noch. An dem Spruch ist wohl was dran „Es braucht die Zeit, die es braucht und es braucht weniger Zeit“. Danke Birger für diese Lektion.

 

 

 

Das war ein wenig zu eng für Wim, beim 2.Anlauf hat er es dann aber mitgemacht.

 

Auch auf diesem Foto er ist zu sehen, welche Herausforderungen wir Wim geboten haben. Er hat das prima mitgemacht und die Kühe auf den Pferdehänger getrieben. Soll mal einer sagen, dass mein Pferd keinen Cow Sense hat. Seht mal, wie entspannt er das macht! Nun, meine Zeit war jetzt auf dem Hof beendet und ich musste nach Hause. Wim durfte ich mitnehmen, erst mal für 3 Monate - wie sich später herausstellte für immer. Reibungslos mitnehmen in einem neuen Hänger, je denkste, doch nicht Wim!? Birger war schon wieder on Tour und ich hatte meinen Hänger. Wunderbar, das Verladen hat ja dann auch nur 2 Stunden gedauert! Wie ihr seht, heute so morgen so. Es war einfach noch nicht verlässlich und ich kann euch sagen, es folgte noch mehr. Naja, aber die Fahrt verlief dann zumindest soweit reibungslos und wir sind heile in Velbert angekommen. Hier hatte ja niemand Verständnis für so ein Pferd wie Wim. Das Satteln war auch wieder problematisch und wie oft stand ich in Tränen aufgelöst und Sattel hoch und runter schwingend im Round Pen. Ich dachte es hört nie auf. Monatelang habe ich Wim täglich nach dem Reiten verladen und trotz allem fühlte er sich in dem Kasten einfach nicht wohl. Den einen Tag entspannt, am nächsten fliegt dir die hintere Stange entgegen. Das war zermürbend, denn Unterstützung gab es hier ja nicht. Und trotz allem: Heute ist Wim ein fantastischer Partner, wir vertrauen uns gegenseitig, gehen miteinander durch dick und dünn. Durch die Horsemanship-Arbeit am Boden, Liberty Arbeit und Training unter dem Sattel hat er sehr viel gelernt, niemand, der ihn heute sieht würde meinen, wie schwierig dieses Pferd war, das laut Pat Parelli das schwierigste war, dass er in Europa je in der Hand hatte! Wim war mein wichtigster Lernmeister, ich habe ihm sehr viel zu verdanken!

 

Hier bei einer Aufführung zum Horse man ship Wochenende in Holland. Hat er zwar super gemeistert, jedoch hat er mit der ungewohnten Umgebung solchen Stress gehabt, dass er wieder extrem abgenommen hat. Es folgten noch viele weitere Vorführungen  in Hamminkeln, Worms, Bad Oldesloe, Marl etc., sowie Messen wie Hanse Pferd und Equitana. Diese Herausforderungen haben Wim in seinem Selbstbewusstsein gestärkt und mit der Zeit ist er ein wunderbarer Partner für verschiedenste Veranstaltungen geworden, der schon viele Menschen begeistert hat.

Wim's Fotogalerie